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Das Webstandards-Magazin geht ins zweite Jahr

Ausgabe 5 des Webstandards-Magazins ist ab morgen im Handel, das Abo hat meine Agentur schon vorab erreicht und wird mir schön regelmäßig auf den Schreibtisch gelegt. Normalweise packe ich das Heft dann sofort in den Gemeinschaftsraum. Diesmal hab ich es aber glatt mit nach Hause genommen und auch gelesen. Wie kommt das?

Cover Webstandards-Magazin- Heft 05/10Angst ist ein schlechter Ratgeber. Auch so eine Binsenweisheit, an die man sich auch noch hält. Als ich gestern frühmorgens angekündigt hatte, dass ich – wenn ich das Heft schon mal lese – auch gleich eine Rezension mache, kam via Twitter vom Webstandards-Magazin zurück: Ganz Düsseldorf duckt sich schon mal 😉. Gut, was soll ich sagen – sie haben recht und auch wieder nicht. Was nicht von mir zu erwarten ist, eine Rezension, die sich bedeckt hält. Warum auch, das Webstandards-Magazin hat nichts zu verstecken, es hat freilich noch einiges versteckt, aber darauf komme ich in meinem Fazit zurück.

Ich habe lange überlegt, wie man das Heft am besten in eine Rezension packt und mich für eine thematische, subjektive Auswahl entschieden mit einem kleinen, ebenso subjektivem Ausblick, was mir noch fehlt.

Warum ich das Magazin nach Hause genommen habe?

Zum einen sicherlich, weil die letzte Ausgabe, die ich auch wirklich gelesen habe, Ausgabe 2 war. Das spricht jetzt weder gegen das Magazin, noch für mich. 🙂 Ich bin nur manchmal so im Umgang mit Geschenken, dass ich sie schlicht ziemlich lang liegen lasse. Und Abos, speziell in Agenturen, sind nun mal Geschenke. Zum anderen hat mich der aktuelle Schwerpunkt mobil schlicht dazu verführt, weil ich da in den letzten Monaten ein wenig affiziert wurde durch zwei Webinare zum Thema.

Entsprechend zielgerichtet habe ich auf den Schwerpunkt hin gelesen, okay – zugegeben – zuerst lese ich immer die Artikel zum Thema Barrierefreiheit. Aus dem ganzen Heft hat mir der schmale bis kurzweilige Artikel zu Location Based Games am besten gefallen und damit will ich keinesfalls dem Herausgeber schmeicheln. 😉 Wer schon auf harmlosen Sonntagsspaziergängen erlebt hat, wie der Partner plötzlich das Wort Geocaching ins Rennen wirft und unbedingt Verstecktes via iPhone suchen will, weiß, dass die in diesem Artikel vorgestellten Play-Caching-Sessions um einiges verschärfter sind. Selten so gelacht, ich sag dazu ja immer, ein Waldstreifen ist mir da immer um einiges interessanter. Oder um es mit ein wenig mehr Medientheorie zu sagen – Raymond Williams nannte das schon sehr früh die Tendenz zur mobilen Privatisierung -, man hat immer sein Wohnzimmer dabei und kommt aber trotzdem viel rum. 😉 Freilich hat der Anspruch, warum man sich solchen Reality-Spielen hingeben soll, etwas eher wellnesshaftes. Aber womöglich ist es das genau, die Wellness. Ich hätte mir da ein wenig mehr Anarchismus gewünscht, schließlich operieren diese Spielansätze tatsächlich auf einer historisch gängigen Praxis der Realitäts- und Stadterkundung jenseits gängiger Routen und Vorgaben – als Beispiel wären die Techniken der Situationisten hier zu nennen. Aber wie schon gesagt, habe mir sofort einiges notiert und werde mich da weiter damit beschäftigen. Danke dafür!

Der Artikel zu Mobile Tagging von André Wussow war sehr passend, hätte ich keinen iPod Touch, würde ich das sicherlich massiv nützen, schon weil ich Codes sehr mag. Das Thema Browserweichen (Tim Böttiger) wird besonders für mobil wieder wichtiger. Ich hätte mir da aber einen Zugang gewünscht, der sich mehr mit Standards beschäftigt. Freilich können wir auch wieder anfangen, diese Voll-PHP-User-Agent-Lösungen zu nutzen, aber davon waren wir doch eigentlich schon wieder weg. Der Artikel zieht das argumentativ durchaus richtig durch, aber er bleibt in der unterschiedlichen Gewichtung dann doch zu wage. Aber auf diesen Punkt komme ich in meinem Ausblick noch zu sprechen – dem mitunter Fehlen einer Webstandards-Perspektive. Das erwarte ich nicht von jedem Artikel, aber gerade in der Browserweichen-Debatte würde ich einen speziellen Fokus auf Webstandards erwarten.

Der mobile Praxisbericht von Marco Zehe in Sachen iPhone und VoiceOver ist spannend und gibt vor allem auch Einblick in die taktile Handhabung etwa einer Datentabelle, die von VoiceOver leider bis dato nicht so gut interpretiert wird wie etwa von JAWS. Spannend ist auch das konkrete Ergebnis für Webentwickler, war aber eher zu erwarten in dieser vertrauten Kombination von Safari und VoiceOver.

Was mir noch gefehlt hat im mobilen Schwerpunkt, sind Artikel, die den klassischen Webentwickler wie mich dort abholen, wo er zuhause ist: Bei den Webapps, die mit Hilfe von HTML, CSS und etwa einem Plugin wie jQTouch arbeiten. Nichts gegen native Apperstellung mit Xcode oder Objective-C – zwei Artikel arbeiten auch diese Themen gut auf, nur fehlte mir der Brückenschlag zum sinnvollen Einsatz von Webstandards ein wenig. Grade mobil ist da schon eine weitere Herausforderung. Und meine C-Zeiten liegen schon arg lang zurück, da war der knappe Ausflug im Webinar in den Xcode-Bereich schon wesentlich komfortabler. 🙂

Für den klassischen Webworker wie mich war doch einiges dabei …

Spannend sowohl der Artikel von Eric Eggert zu den CSS3 Animationen als auch von Stefan Asemota zu RGBa, die einfachste Transparenz überhaupt, würde ich sagen. Man spürt in beiden Artikeln und generell grade, um wie viel einfacher und zugleich präziser CSS3 daherkommt. Die Transparenz-PNGisierung hat dann ja bald ein Ende, dank IE 9. 😉

In den beiden Artikeln zu WYSIWYG von Maik Wagner und Nicolai Schwarz ist der Anspruch, konform und valide zu arbeiten, sehr präsent – sehr gut. 🙂 Auch wenn sich die Artikel etwas überschneiden und beide eine schlechte Praxis und Ausgabe von WYSIWYG-Editoren voraussetzen, die so auch wieder leicht speziell anmutet und etwa durch ganz andere Ansätze wie dynamische CMS-Maskenerstellung, die heute ja problemloser möglich ist, umgangen werden kann. Damit kann man entweder den Editor gänzlich entfernen oder reduziert ihn auf die Befüllung von Absätzen mit der entsprechenden Minimalkonfiguration des Editors. Die Option, ein Bild in den Editor zu integrieren, ist dann nicht mehr zwingend notwendig. Konformität und Validität lassen sich durch eine kleinteiligere Maskenbildung viel einfacher erreichen. Freilich sind diese Lösungen nur möglich, wo Masken so frei erstellt werden können. Die von Maik Wagner genannten Beispiele wie Blogsysteme bieten diese Möglichkeit nicht, hier greifen die beiden Lösungen dann durchaus: Textile (Maik Wagner) als einfache Auszeichnungssprache für Texte, vor allem bekannt aus der Wikinutzung und kollaborativen Werkzeugen wie Confluence, und der HTML-Filter auf PHP-Basis HTML Purifier (Nicolai Schwarz).

Wo für mich noch etwas fehlt …

Wenn ich jetzt von der konkreten inhaltlichen Linie etwas abweiche, dann nur aus einem Grund: Ein Heft ist auch eine Gefühlssache, das heißt, ein Heft setzt sich für mich auch aus einem Mosaik von unterschiedlichen Formaten, Mustern, Ansätzen und Angeboten zusammen. Jeder Baustein darin ist wichtig und muss rund sein. Das Mosaik des Webstandards-Magazin ist noch nicht ganz rund für mich als Leserin – das mag für andere dann gänzlich anders sein. Aber das hier ist eine subjektive Lesereise.

Was mir am meisten fehlt, ist der größere Bezug zu Webstandards. Das mag in den vorhergehenden Heften präsenter gewesen sein, im aktuellen Heft muss ich eher ein wenig danach suchen. Dann bin ich ein absoluter Fan von Interview-Formaten, weil die so eine Mischform zwischen Stringenz und Lockerheit mitbringen. Das aktuelle Heft bietet da eine ziemliche Spanne an, nicht immer ganz rund. Hier würde ich schlicht den Ball an die Redaktion zurückspielen: Traut Euch da mehr zu. Es ist kein einfaches Format – so ein Interview -, da hat sich das aktuelle Heft auch viel vorgenommen. Gut so – ein wenig kantig noch, ab und an zu trocken und mitunter reißt der Bezug zwischen Frage und Antwort ab. Kritischer wird es dann, wenn ein Interview mit eigener Zuspitzung zusammengefasst dargestellt wird wie im Fall von Patrick H. Lauke. Ich hatte schlicht immer wieder Schwierigkeiten zu unterscheiden, wer was gesagt hat. Und dass es Web Evangelisten auch schwer haben, wissen wir ja alle. 😉

Der schwierige Spagat zwischen kurzweiligen, knappen Formaten – ich fand die Favicon-Doppelseite doch recht witzig – und tiefergehenden Fachartikeln geht immer noch auf. Ein ganz kleinwenig war es mir zu kurzweilig mitunter. Aber das mag stimmungsabhängig sein. Respekt muss man ebenso der unglaublichen inhaltlichen Bandbreite zollen, das steht das Heft ganz gut durch – andere Magazine wären da schon längst zerfasert. 🙂

Mein Fazit

Man muss und darf die Frage immer wieder stellen, was das Webstandards-Magazin nun von anderen Magazinen wie etwa die WEAVE unterscheidet. Ich würde sagen zweierlei: Zum einen das starke Beharren auf und das Handling der eigenen Themen. Das mag nicht immer so aufgehen, aber diese Suchbewegung bildet sich für den Leser durchaus positiv ab. Und zum anderen spürt man, dass das Magazin sich in dieser Suchbewegung immer in Bewegung hält. Diese Bewegung kann man gut an den Ecken und Kanten des Heftes erkennen und damit meine ich nicht herkömmliche Eselsohren. 🙂 Der Balanceakt zwischen Blattlinie und immer noch irgendwie Aufbruch lässt sich gut aushalten. Etliches dabei noch unfertig, ganz klar. Auch hier wieder denke ich, kann sich die Redaktion mehr zutrauen.

Für ein Magazin, das sich immer ein Stück weiterentwickeln will, ist es wichtig, sich beständig zu häuten. Am Cover des Webstandards-Magazin kann man dieses Häuten mit jeder neuen Ausgabe mitverfolgen. Und das wird spannend bleiben.

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