Der Lehrfilm „Wie bedient ein sehbehinderter oder blinder Mensch das Web“ der Universität Bern ist wirklich sehr interessant (via Einfach für alle): Zum einen liegt das daran, dass Filme mit Nutzern nicht so häufig sind, und zum anderen, das beide Nutzer informativ darüber Auskunft geben können, was ihre Probleme und Möglichkeiten im Web sind.
Zu Wort kommen Thomas Lanter, sehbehindert, und Jürg Cathomas, blinder Nutzer des Webs. Die Macher des Videos verwirren ein wenig mit den Begrifflichkeiten nicht-sehend und blind, sie verwenden beide Begriffe parallel. Jürg Cathomas bezeichnet sich selbst als blinden Nutzer.
Ein wenig schade fand ich, dass man zwar Thomas Lanter schön durch seinen Alltag eingeführt hat – wie er etwa Kaffee macht, aber man Jürg Cathomas schlicht vor dem Bildschirm arbeitend vorfand.
Höchst problematisch fand ich, dass der Film nicht untertitelt ist. Mein Schweizer Deutsch hält sich nun doch in Grenzen. 🙂 Ich musste mir den Film mehrmals ansehen, um den beiden Protagonisten zu folgen – und ich komme aus dem österreichischen Sprachraum.
Noch eine kleine Anmerkung dazu: Das Video selbst hat keine Untertitel oder Audiobeschreibungen und ist somit selbst wieder eine Barriere.
Welche Punkte sind nun für mich spannend gewesen:
Allgemeine Zugänglichkeit
Farben und Kontraste
Es wurde klar, wie wichtig Farben und Kontraste für Thomas Lanter sind. Vor allem weil er mit einer Vergrößerungssoftware (ZoomText) arbeitet und dem Invers-Modus, d.h. er kehrt die Farben der Webseite um. Für ihn ist also das wichtigste, dass die Farbpalette einer Webseite hinreichend Kontrast bietet.
Einfachheit
Das Thema Einfachheit einer Webseite wird mir nach diesem Video noch klarer. Nicht nur die Sprache einer Webseite sollte möglichst einfach gehalten sein und damit schneller erfass- und lesbar. Auch Navigationen sollten sich nicht im rechten, schwer erreichbaren Bereich befinden und einfach gestaltet sein. Ein schönes Beispiel sind die von Lanter genannten Boulevardmedien, die die Webseite zu einem „Bilderbuch“ machen und man ewig braucht, um die Struktur der Seite zu erfassen. 🙂
Formulare
Interessant hier wieder die Position des LABELS
in Formularen. Gerade bei Vergrößerungen sieht man, wie wichtig es ist, das LABEL
direkt an das Formularfeld ranzuziehen. Auch wäre zu überlegen, ob man inhaltliche Konstrukte wie Strasse und Hausnummer nicht doch jeweils vor das Formularfeld platziert. Lanter konnte gut zeigen, dass man sich bei Vergrößerung schlicht im Scrollen nach rechts verirrt. Gänzlich schwierig werden dann Formulare, die noch weitere Formularfelder rechts beinhalten, der inhaltliche Zusammenhang geht ganz schnell verloren – schon beim schlichten Zusehen.
Beispiel: Schweizer Fahrplanauskunft
Sprungmarken zu den Details
Jürg Cathomas führt am Beispiel der Schweizer Fahrplanauskunft vor, wie man sie mit einem Screenreader bedienen kann. Auf der Ergebnisseite kann man mittels Sprungmarken von den Ergebnisliste direkt auf das Detailergebnis springen. Die laufende Nummer des Ergebnisses ist verlinkt zur Detailinformation, die technisch gesprochen mit einem ANCHOR
versehen ist. Diese Sprungmöglichkeit läßt sich auch noch per Tastatur ALT+1
und ALT+2
bedienen.
Ergebnisse als Datentabelle
Die Ergebnisseite ist mit Datentabelle programmiert, die eine eindeutige Zuordnung der Tabelleninhalte zuläßt. So sind Tabellenüberschriften, TH
s, ausgezeichnet und mit den Tabellenzellen durch die HTML
-Attribute ID
und HEADERS
verbunden. Leider sind Abkürzungen wie Umst. nicht ausgezeichnet, aber wahrscheinlich wird erwartet, dass man das schon versteht. 😉
Ebenso völlig unklar sind die in den Ergebnistabellen enthaltenen Symbolgrafiken. Die einem Elefantenumriß nicht unähnliche Grafik ist nach einem Blick in den Quellcode als Umgebungskarte zu erkennen. Immerhin gibt es eine Legende ganz unten für die restlichen Symbolgrafiken in der Liste. Es hätte aber nicht geschadet, wenn man die Grafiken im konkreten Zusammenhang lesbar gemacht hätte.
Das interessante an Jürg Cathomas Ausführungen ist, dass er auf einer Seite, die noch auf Layouttabellen aufbaut und einen eher furchtbaren Quellcode liefert, trotzdem auf bereits gut realisierte Elemente wie Datentabellen und Sprungmarken zugreifen und sie mit dem Screenreader erreichen kann.
Ich würde mir wünschen, dass es zukünftig mehr Videos dieser Art gibt. Auch für mich waren neue Anknüpfungspunkte dabei.